„Glück, das ist mein Koffer. Wenn ich meinen Koffer irgendwo unterbringen könnte – das wäre Glück. In diesem Koffer ist mein Leben. Erinnerungen, Bilder, das, was man „persönliche Gegenstände“ nennt. Das Geld für die Gepäckaufbewahrung habe ich nicht. Der Koffer ist Luxus. Und viel zu groß. Ich schleppe ihn überall hin. Tagelang trage ich ihn durch die Stadt. Mittlerweile sind Jahre daraus geworden. Der Koffer ist mein Zuhause. Mein Leben ist da drin. Dinge, die zum Reisen nicht geeignet sind. Ich brauche diesen Koffer. Aber zugleich ist er ein Fluch. Ballast. Ich werde mich von ihm trennen müssen. Das meiste wegwerfen, das wichtigste behalten. Glück wäre, einen Ort für meinen Koffer zu haben.“ (Florian, 2014)
„Manches habe ich auf der Straße gelernt: Respekt vor den Gefallenen, vor dem Mann, der in der Sommerhitze in der Fußgängerzone vor sich hin zittert und nicht einmal bettelt, vor der Frau, in deren Schoß ein Hündchen liegt, das sie liebt und für das sie von Passanten als „Tierquälerin“ beschimpft wird, für den Junkie mit Suchtdruck, für die Roma, die von den anderen als Konkurrenz gesehen wird, für das Kind, das aus Angst nicht mehr nach Hause geht, sondern zu dem Mann mit den Geschenken. Von all den Erfahrungen bleibt etwas zurück. Ich habe zu viel gesehen. Mehr als mein Auge fassen kann. Und es geht immer weiter.“ (Florian, 2014)
„Man denkt ja immer, Weihnachten sei das mit der Obdachlosigkeit besonders schlimm. Das stimmt gar nicht. Schlimm ist es im April, wenn sich kein Mensch und keine Zeitung mehr für dich interessiert. Oder im Juli, wenn jeder denkt, wir hätten es ja jetzt hübsch warm und romantisch – so arbeitslos und lässig im Park. Weihnachten, da kommen den Leuten Gefühle, da hat jeder Angst, du könntest unter städtischem Lichterschmuck erfrieren und mit deinem toten Kadaver so richtig die Glühweinstimmung vermiesen. Sobald es draußen wieder blüht, glaubt jeder, jetzt sei alles gut. Aber habe ich mehr Freunde, nur weil die Rosen blühen? Gibt mir einer einen Job, nur weil Krokusse im Park stehen? Soll ich zufrieden sein, nur weil es warm ist? Im Sommer, wenn sich wirklich keiner mehr für dich interessiert, dann ist eigentlich Eiszeit.“ (Florian, 2014)
„Ich kann nicht sagen, ob ich diesen Weg selbst gewählt habe. Wenn, geschah es unbewusst. Wer ist schuld? Meine größte Angst ist, dass meine Familie erfährt, was mit mir passiert ist. Aber ich habe gelernt, allein zu sein. Es heißt immer, die Hoffnung stirbt zuletzt. Das ist falsch. Hoffnung stirbt viel früher, die ist tot und ich bin noch da.“ (Florian, 2014)
Verfasser: Nina Wild
Florian (2014) – Obdachlosigkeit: Geschichten über Armut, Hoffnung, Respekt & Glück – https://nachhaltig-sein.info/privatpersonen-nachhaltigkeit/obdachlosigkeit-geschichten-uber-armut-hoffnung-respekt-und-gluck – Letzter Zugriff: 27.06.2020 um 14:42 Uhr
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